DIE GESCHICHTE DER SÜDLICHEN INNENSTADT

Der historische Hintergrund der Südlichen Innenstadt lässt die Entwicklungen noch beeindruckender wirken.
Allgemeine geschichtliche Informationen und Hintergründe zum Quartier finden Sie hier.

MARTIN HOPPE

Leiter Fachbereich Kultur, Stadtidentität und Internationale Beziehungen der Stadt Hanau

„Am besten starten wir am bekanntesten Ort Hanaus: Dem Nationaldenkmal der Brüder Grimm auf dem Neustädter Marktplatz. Die Statuen der 1785/1786 in Hanau geborenen Universalgelehrten Jacob und Wilhelm Grimm wurde 1896 errichtet. Seit 1975 ist das Denkmal Ausgangspunkt der Deutschen Märchenstraße nach Bremen.

Das Rathaus wurde 1725-33 errichtet und kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wie die gesamte Innenstadt bis auf die prächtige Sandsteinfassade durch einen alliierten Luftangriff am 19. März 1945 zerstört. An der rechten Außenwand finden Sie eine Informationstafel über den sog. Ehrendienst und den Wiederaufbau der Jahre 1945 bis 1958.

Wendet man sich nach links oder rechts sehen wir die beiden Restaurants Central oder Klara. Beide wurden im Zuge des Innenstadtumbaus mit historischen Ansichten auf Lochfassaden versehen. Sie gewähren einen Eindruck von der reichen Historie der Stadt und der einstigen Baudenkmäler in der Südlichen Innenstadt, wie die Wallonisch-Niederländische Kirche.“

BEREICH DER HAUTEVOLEE

Die Französische Allee

Mit der Gründung der Neustadt Hanau durch calvinistische Glaubensflüchtlinge aus den spanischen Niederlanden 1597 wurde auch die Wallonisch-Niederländische Kirche errichtet. Es war einst eine riesige Doppelkirche, die von weit her zu sehen war. Nach dem Krieg wurde nur der kleine niederländische Teil wiederaufgebaut.

Um die Kirche, am Kirchplein, heute Französische Allee, lebte die „Hanauer Hautevolee“. Etwa der Kaufmann und Bürgermeister René Mahieu, der sich hier sein palastartiges Gebäude „Arche Noah“ errichten ließ. Später als Bernburg´sches Palais oder Stadtgarten bekannt, wurde es 1945 zerstört.

An dieser Stelle errichteten die Nassauischen Heimstätten und die Baugesellschaft Hanau nach dem Krieg zügig Mietwohnungen. Mietraum war damals knapp. Bis Anfang des 21. Jahrhunderts gab es hier Wohnungen mit Kohleöfen und kleinen Bädern. Das durch den wettbewerblichen Dialog neu entstandene „Westcarré“ stellt sich heute als attraktiver Wohnkomplex mitten in der Innenstadt dar.

Mehr zur Geschichte rund um die Wallonisch-Niederländische Kirche und dem Kirchplatz ist auf www.hanau-entwickelt.de zu finden.

VERSORGUNG INNERHALB DER STADT

Die Gärtnerstraße

Innerhalb der Wallanlagen des 17. Jahrhunderts, an der Peripherie, befanden sich bis ins frühe 20. Jahrhundert Grünanlagen und Gärten, die klein-landwirtschaftlich genutzt wurden. Sie dienten etwa während des Dreißigjährigen Krieges der Selbstversorgung der Menschen innerhalb der Festungsanlage. Sehr gerne angebaut wurden gelbe Rüben, der Grund weshalb die Hanauer:innen in ihrem Nicknamen noch “Geehle Riebe” genannt werden. Die Gärtner waren ebenfalls in dieser Straße zuhause (Rue des Jardiniers), um möglichst nah an ihren Beeten zu sein.

DAS MÄRCHEN VOM VERSCHOLLENEN BRUNNEN

Es war einmal vor langer Zeit, als an der Rebengasse ein Gebäude mit zwei Geschossen errichtet wurde. Um die Wasserversorgung zu sichern, wurde 1692 im Hof ein Ziehbrunnen angelegt. Vom Aussehen her erinnert er an die einst vier Brunnen auf dem Neustädter Markt.

Ganze 80 Jahre später, 1772, zog in das Gebäude die neu gegründete Zeichenakademie ein, der erste Direktor kam aus Paris: Jean Louis Gallien.

Der Brunnen blieb erhalten, als die Akademie 1880 ihren Neubau erhielt, auch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs konnten ihm nichts anhaben. Um Platz für die Pedro-Jung-Schule zu schaffen, wurde das Kleindenkmal 1958 an den Frankfurter Unternehmer und Brauereibesitzer Bruno Heinrich Schubert verkauft, der mit ihm seine Villa in Frankfurt- Sachsenhausen verzierte. Nach dessen Tod 2011 wurde sein Anwesen versteigert. Die Stadt Hanau und der Hanauer Geschichtsverein erwarben den Brunnen in einer Gemeinschaftsaktion zurück. Er wurde fachmännisch restauriert und befindet sich seit 2015 an fast genau der Stelle, wo er 1692 errichtet wurde.

IM ZICK-ZACK ÜBER DEN INNENSTADTRING

Weiter geht es nur ein Stück Richtung Wallweg. Hier befand sich einst ein Teil der Befestigungsanlagen Hanaus, bis sie 1806 unter französischer Herrschaft auf Befehl Napoleon Bonapartes geschleift wurden. Auf dem Grünstreifen nahe der alten Stadtmauer wurden in der Zeit der Industrialisierung zahlreiche bedeutende Fabriken errichtet, die Stadt erweiterte sich: Heraeus, E.G. Zimmermann, Bracker oder Deines, auch der alte Schlachthof (heutiges Postcarré) ist zu nennen. Die Epoche des Bauhauses lässt sich am ehemaligen Gloria-Lichtspielhaus gegenüber ablesen (heute Café Schien und Kieser-Training).

KANALTORPLATZ

Auch dieser Name lenkt unser Augenmerk auf die Vergangenheit: Die calvinistischen Neustadtgründer hatten in der Gründungsurkunde mit Graf Philipp Ludwig II. von Hanau-Münzenberg 1597 auch ein Marktschiff ausgehandelt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts fuhr es auf einem Kanal vom Main bis an diese Stelle, nahm Waren auf, transportierte sie zur Messe nach Frankfurt und zurück. Das Hafenbecken wurde bereits rund 80 Jahre später geschlossen und bebaut. Die beiden vorragenden Häuser markieren noch heute die alte Hafeneinfahrt.

ROCK´N ROLL

Krämerstraße und Heumarkt waren vor Jahrhunderten Orte des Handels. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden hier zahlreiche Bars und „Musikschuppen“, in denen die US-GIs ihren Sold vertranken und sich amüsierten. Auch Bill Haley und Elvis Presley sollen hier gesichtet worden sein; Elvis war in Friedberg stationiert. Dieser Bereich und die Lamboystraße waren als „zweites Sankt Pauli“ bekannt. Die Hanauer Kasernen im Lamboy, Wolfgang und Großauheim bildeten einst die größte US-Garnison in Deutschland.

19.02.2020

Rassistisch motivierter Anschlag in Hanau

Seit dem 19. Februar 2020 ist Hanau nicht mehr wie es war: Ein rassistisch motivierter Täter brachte am Heumarkt und wenig später am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt neun junge Menschen, dann seine Mutter und sich selbst um. Er löschte 9 Leben aus, nur, weil sie nicht in sein Weltbild passten. An den Tatorten wurden Gedenktafeln montiert. Derzeit läuft ein Wettbewerb für ein Mahnmal in Gedenken an die Opfer.