„Stadt ist Wandel. Immer.“

Das Projekt “Soziale Stadt / Südliche Innenstadt” im Kontext der Stadtentwicklung

Ein Interview mit Holger Kreuzer (Stadtplanungsamt)

Herr Kreuzer, was ist seit dem Start des Projektes „Soziale Stadt / Südliche Innenstadt“ geschehen?

Das Projekt Soziale Stadt ist Ende der 1990er Jahre erstmals vom Bund und den Ländern aufgelegt worden und sollte einem deutlicher werdenden Problem Einhalt gebieten – dem `Abrutschen` einzelner Stadtquartiere. In vielen Städten hatten sich durch schleichende Funktionsverluste Stadtteile von der allgemeinen Entwicklung abgekoppelt. Die sinkende Attraktivität und der damit einhergehende Imageverlust führte zu einer nachhaltigen Veränderung der Sozialstruktur und das hat eine Spirale in Gang gesetzt, die immer weiter abwärts ging. Man wollte einen Gegenpol setzen und schauen, was können wir als öffentliche Hand überhaupt tun, um diese Prozesse aufzuhalten und idealerweise auch ein Stück umzudrehen? Daraufhin wurde das Programm Soziale Stadt aufgelegt. Da ist auf der einen Seite ein städtebaulicher Part, auf der anderen Seite sind da viele soziale Förderprogramme angedockt, die damit kombinieren werden können.

Ziel ist es, durch die Beseitigung von städtebaulichen Missständen wie fehlenden oder unattraktiven öffentlichen Plätzen und Grünflächen, und flankierende soziale Angebote, zu einer Stabilisierung betroffener Stadtteile beizutragen. Menschen soll die Teilhabe ermöglicht und Sprachbarrieren abgebaut werden. Die Mitwirkung der Bürger:innen sollen dabei helfen, Mittel zielgerichtet einzusetzen und gemeinsam eine positive Quartiersidentität zu festigen. Dieses Programm wurde für die Südliche Innenstadt quasi maßgeschneidert.

In den 1990er Jahren wurde immer deutlicher, dass die im Quartier dominierende, sanierungsbedürftige Nachkriegsbebauung mit ihren kleinen und einfach ausgestatteten Wohnungen, die unansehnlich gewordenen Straßen und Plätze mit hohem Parkdruck und die weitgehend fehlenden öffentlichen Grünanlagen und Einkaufsmöglichkeiten zu einer zunehmenden sozialen Schieflage und Ausgrenzung der Bewohnerinnen und Bewohner führte. Im Bereich des Kanaltorplatzes gab es eine offene Drogenszene, Prostitution, Spielhallen. Es musste etwas getan werden. Anfang 2001 wurde entschieden, für das Quartier eine Aufnahme in das Programm „Soziale Stadt“ zu beantragen und ein integriertes Handlungskonzept zu erarbeiten. Grundlage hierfür war eine SWOT-Analyse, in der die Stärken, Schwächen, Chancen und Herausforderungen des Quartiers gesammelt wurden. 2002 wurden die südliche Innenstadt in das Programm aufgenommen und wir haben uns gemeinsam mit den im Quartier lebenden Menschen an die Arbeit gemacht.

Im Jahr 2005 wurde dann der Stadtteilladen Südlicht eröffnet, eine erste Anlaufstelle für die Anliegen der Anwohner:innen. Hier erhalten sie Beratung und er fungiert als Ankerpunkt rund um die Bürgerbeteiligung gemäß des Förderprogramms. Er dient außerdem als Sitzungsraum für die Konzeptgruppe und die beteiligten Bewohnergruppen, die dann angefangen haben, Entwürfe aus dem integrierten Handlungskonzept zu konkretisieren und priorisieren, um in die Umsetzung zu gehen. Über die Jahre ist eine Menge passiert. So wurden sechzehn große städtebauliche Maßnahmen wie die Umgestaltung von Straßen, Wegen, Plätzen und Grünanlagen in diesem Quartier umgesetzt. Außerdem konnten 120 Sanierungs- und Förderberatungen privater Immobilieneigentümer und über 8.500 Beratungsgespräche mit Menschen aus dem Quartier geleistet werden. Durch die Hilfe bei der Jobsuche, dem Angebot von Sprachkursen sowie die Unterstützung im Umgang mit Behörden, baute sich mit den Jahren zwischen den Bürger:innen und ihrer Stadt ein gutes Vertrauensverhältnis auf.

Welche sind die Kernaufgaben des Projektes?

Die wesentlichste Aufgabe ist ganz klar, die Menschen immer mitzunehmen. Es ist das A und O, die Menschen zu erreichen, die dort leben und sie davon zu überzeugen, dass sie

aktiv etwas an den Verhältnissen in ihrem Stadtteil ändern können. Dann gilt es, städtische Interessen und Mittel mit ihren Wünschen und Belangen unter einen Hut zu bringen. Man muss sich fragen: Mit welchem Projekt fängt man an? Was braucht es dafür? Das wiederholt sich mit jedem einzelnen Teilprojekt. Bei einer derart langen Laufzeit muss man außerdem immer wieder kritisch hinterfragen, ob eigentlich noch aktuell ist, was wir damals vor fünf, zehn oder zwanzig Jahren für das Quartier ermittelt haben, oder ob sich neue Herausforderungen und Prioritäten ergeben. Das Handlungskonzept anzupassen, während man weiterläuft und soziale Aspekte nicht aus den Augen zu verlieren, ist sehr wichtig. Daher haben wir von Anfang auf die enge Zusammenarbeit zwischen Stadtplanungsamt und dem Geschäftsbereich Schule und Soziales gesetzt und das Programm als Gemeinschaftsprojekt verstanden.

Welche ist die größte Herausforderung dieses Projektes?

Eine zieht sich für den städtebaulichen Teil wie ein roter Faden durch das gesamte Projekt: Den Menschen Teilhabe zu ermöglichen und Ihnen ein lebenswertes Wohnumfeld zu bieten und gleichzeitig darauf zu achten, dass durch die steigende Attraktivität kein allgemeiner Verdrängungs- und Gentrifizierungsprozess einsetzt. Es ist ein schwieriger Balanceakt, bei dem uns hilft, dass die städtische Baugesellschaft im Fördergebiet einen großen Immobilienbestand hält, die Stadt also einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung der Mietpreise im Quartier hat.  Angst vor Verdrängungsprozessen ist kein Grund zu sagen, wir machen es nicht, die Alternative wäre ein Akzeptieren der Lebensumstände der Menschen in den betroffenen Stadtteilen, aber man muss das Maß wahren und das ist manchmal nicht ganz einfach.

Welchen Stellenwert hatte die Südliche Innenstadt für die Bürger:innen Hanaus vor dem Start des Projektes und welchen hat sie heute?

Für viele Hanauer:innen hatte das Projekt anfangs vermutlich keine besondere Relevanz. Es gab schlicht keine Berührungspunkte. Für die Menschen, die in diesem Stadtteil wohnen oder unmittelbar um diesen herum, hatte es jedoch direkt eine erhebliche Bedeutung.

Es hat sich zudem gezeigt, dass Soziale Stadt Projekte, mittlerweile heißen sie Sozialer Zusammenhalt, wirklich dabei helfen, Probleme in den Stadtteilen in den Griff zu bekommen. Das wiederum führt dazu, dass diese Projekte häufiger genutzt werden. Seitens der Stadt Hanau laufen aktuell noch zwei weitere Programme: Hafentor und Freigerichtviertel; neue sind in Vorbereitung. Dadurch haben immer mehr Menschen in Stadtteilen mit städtebaulichen und sozialen Schieflagen die Chance, davon zu profitieren. Entsprechend hoch ist meines Erachtens die Bedeutung für die Stadt insgesamt. Hinzu kommen Leuchtturmprojekte wie die geförderte Umgestaltung des Platzes an der Wallonisch-Niederländischen Kirche, die eine Strahlkraft weit über die südliche Innenstadt hinaus haben.

Wie wichtig ist die Bürgerbeteiligung bei diesem Projekt?

Sie ist eine Grundvoraussetzung und unglaublich wichtig für den langfristigen Erfolg. In der Vergangenheit haben regelmäßig Fachleute die Diskussion über städtebauliche Maßnahmen dominiert. Die Wünsche der Bürger:innen spielten nur eine untergeordnete Rolle oder wurden gänzlich außer Acht gelassen. Mangelnde Erfolge und fehlende Akzeptanz der Maßnahmen waren oft die Konsequenz.

Es ist unmöglich zu wissen, wo die Probleme im Quartier liegen, wenn man nicht ergänzend zu einer fachlichen Einschätzung auch die Anwohner:innen aktiv beteiligt. Dass wir sagen „wir nehmen Euch ernst und sind wirklich daran interessiert, Eure Belange zu berücksichtigen bei dem, was wir hier tun”, trägt massiv dazu bei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Das ist wichtig für eine effiziente Verwendung der Mittel, da wir so sicherstellen können, dass das Geld dort eingesetzt wird, wo die Menschen es brauchen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Bürgerpark an der Friedrich-Ebert-Anlage, eine Grünanlage mit Spielplatz und Platzbereich, teilweise auch mit Pflasterflächen und mit Wasserspielen, die unglaublich gut angenommen wird. Mittlerweile ist sie über zehn Jahre alt und noch immer ist dort an schönen Tagen unglaublich viel los. Das zeigt, wie groß die Nachfrage nach solchen Flächen ist und wie gut die Angebote vor Ort zu den Wünschen der Menschen passen.

Wie werden die entstandenen Plätze in der südlichen Innenstadt von den Bürgerinnen und Bürgern angenommen?

Die Menschen nehmen die Plätze sehr gut an. Dabei ist es zu Beginn eines Projektes immer ein bisschen schwierig. Gerade, wenn es in der unmittelbaren Nachbarschaft noch keine vergleichbaren Projekte gibt, sind die Leute anfänglich skeptisch, ob man es ernst meint und ihre Belange berücksichtigt. Wenn die Menschen aber sehen, dass die gemeinsam mit ihnen geplanten Sitzecken, Grünanlagen und Spielplätze entstehen, schlägt das schlagartig ins Positive um. Dadurch wächst dann auch die Zahl derer, die sich aktiv einbringen und andere zur Beteiligung ermuntern. Wir beobachten dann eine richtige Vorfreude auf diese Plätze und wenn sie fertig sind, kommen sie erfahrungsgemäß gut an und werden zu unserer Freude intensiv genutzt. Ganz selten gibt es hier Schäden durch Vandalismus – das hätte ich so nicht erwartet.

Wie hoch ist die Relevanz des Projektes „Soziale Stadt / Südliche Innenstadt“ im Gesamtkontext der Stadtentwicklung?

Das muss man ein wenig abstrakter betrachten. Es gibt auf der einen Seite die Neubau-Vorhaben, diese sind aktuell enorm wichtig, um die Wohnraumnachfrage im Rhein-Main-Gebiet zu decken; diesen müssen als Gegenpol aber eine Entwicklung und Überarbeitung des Bestandes gegenübergestellt werden. Dafür halte ich das Programm „Soziale Stadt/Sozialer Zusammenhalt“ für wichtig. Stadt ist Wandel. Immer. Die Anforderungen an eine Stadt verändern sich fortlaufend, sei es der Einzelhandel, verändertes Mobilitätsverhalten oder plötzlich ganze Alltagsabläufe und Arbeitsprozesse wie gerade in der Pandemie.

Es wird deutlich: Gebautes ist relativ starr und kann sich oft nicht so schnell verändern wie die Lebenswirklichkeit. Wenn man als Stadt nicht flexibel reagieren kann, führt es unter Umständen dazu, dass Bereiche, die bestimmten Anforderungen am wenigsten gerecht werden, in eine Abwärtsspirale geraten. Wer es sich leisten kann, zieht dann in andere Quartiere. Die Folge ist eine soziale Segregation und das Maß an Durchmischung, die ein funktionierender Stadtteil braucht, findet nicht mehr statt. Hier helfen Förderprogramme, da sich ein Quartier regelmäßig nicht von allein neuen Herausforderungen stellen kann.

Wenn es etwa darum geht, neue und grüne Aufenthaltsbereiche zu schaffen, weil diese aufgrund von Nachverdichtung auf Grundstücken wegfallen, sind diese Programme unglaublich wichtig. Die Kommunen haben selten die Mittel, solch umfangreiche Investitionen allein zu schultern. Die Förderprogramme bieten eine Drittel-Finanzierung, das heißt die Stadt, das Land und der Bund übernehmen je grob ein Drittel der Kosten. Dadurch hat man  ganz andere Möglichkeiten.

Was erhoffen Sie sich für die Zukunft der Südlichen Innenstadt?

Ein wichtiger Wunsch wäre, dass das, was wir gemeinsam erreicht haben, die baulichen Verbesserungen, aber auch die Aktivierung und Vernetzung der Menschen vor Ort, diese Quartiersidentität, die dabei entstanden ist, erhalten bleibt und die Menschen sich weiterhin selbstbewusst für ihr Quartier und ihr Umfeld engagieren. Aktionen wie das Nachbarschaftsfest des Vereins Südlichter e.V. möchte ich hier besonders hervorheben.

Ich glaube, dass die Veränderungen der letzten knapp 20 Jahre den rund viertausend Quartiersbewohner:innen ein neues Selbstbewusstsein gegeben haben. Heute ist es– anders als vor fünf oder zehn Jahren – wieder interessant, dort zu leben oder beispielsweise ein Café zu eröffnen. Kurz gesagt, ich hoffe, dass unsere Anstrengungen dazu beitragen, dass sich das Quartier auch in den nächsten 20 Jahren nachhaltig positiv entwickelt.