DIE KUNST AM PLATZ

Der Platz an der Wallonisch-Niederländischen Kirche ist der Ort in Hanau, an dem man die Geschichte der Stadt durch und durch spüren kann. Man kann sie sehen, man kann sie anfassen – und seit September 2020 kann man sie sogar begehen und sich an ihrem Rand niederlassen.

BEGEHBARE GESCHICHTE AN DER FRANZÖSISCHEN ALLEE

Der Neustadtplan von Claus Bury

Auf der Südseite der Kirche erstreckt sich der „Neustadtplan“ des Bildhauers Claus Bury: ein in den Boden eingelassenes Relief, dessen Form auf dem „Metzger-Plan“ basiert, einer im Jahr 1665 angefertigten Neustadt-Ansicht aus der Vogelperspektive. Steinerne Sitzbänke rahmen das Kunstwerk ein und erinnern an die ursprünglich sternförmige Befestigung der Neustadt. An den Stellen, an denen einst die Stadttore nach Neu-Hanau hineinführten, kann man den begehbaren Plan betreten. Das markante, quadratische Straßenraster ist im Steinrelief dargestellt, die historischen Straßennamen wurden in die Steinplatten gefräst. Unter den Sitzbänken montierte Leuchten illuminieren abends den „Neustadtplan“ – eine Einladung, auch in den Abendstunden auf dem Platz an der Wallonisch-Niederländischen Kirche zu verweilen.
Die Idee zu einem Relief in Form des historischen Stadtplans hatte Bury schon 1984 anlässlich der Neupflasterung des Hanauer Marktplatzes. Doch damals sollte die Idee nicht zur Umsetzung kommen. Im Nachhinein ein Glücksfall für die Französische Allee. Ohnehin hat das Kunstwerk hier vielleicht einen besseren Standort gefunden, wäre es doch auf dem Marktplatz zweimal die Woche den Verkaufsständen ins Gehege gekommen.
Auf 180 Quadratmetern hat Bildhauer Prof. Claus Bury ein Kunstwerk auf dem Platz der Wallonisch-Niederländischen Kirche geschaffen, das die Geschichtsträchtigkeit dieses Ortes unterstreicht – und gleichzeitig mit seiner Helligkeit und klaren Linien zum neu erwachten Flair des Platzes beiträgt. Hanaus Entstehung liegt seinen Bürgern, Besuchern und ganz besonders Graf Philipp Ludwig II., in Form seines Denkmals, ganz buchstäblich zu Füßen. Burys Relief erweitert das Ensemble aus Wallonisch-Niederländischer Kirche und der Büste des Neustadt-Gründers – und krönt ein ganz einzigartiges künstlerisches Trio mitten in der Hanauer Innenstadt.
Wer Näheres zur Geschichte der Neustadt Hanau und speziell zum Neustadtplan von Claus Bury erfahren will, sei diese Veröffentlichung empfohlen.

VOM GOLDSCHMIED ZUM BILDHAUER

Claus Bury wurde am 29. März 1946 in Gelnhausen-Meerholz geboren. Er ist einer der renommiertesten deutschen Bildhauer der Gegenwart. Bury absolvierte von 1962 bis 1965 eine Ausbildung zum Goldschmied an der Staatlichen Zeichenakademie Hanau. Daran schloss sich bis 1969 ein Studium an der Kunst- und Werkschule Pforzheim an. 1979 wandte er sich vom Goldschmiedehandwerk ab und baute fortan meist groß dimensionierte, architektonische Skulpturen in Landschaften und Städten. 1987 nahm er eine Professur an der Bergischen Universität Wuppertal an und war von 2003 bis 2011 Professor an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Claus Bury lebt und arbeitet in Frankfurt.

HANAUER SCHMUCK-DYNASTIE

Die Familie Bury

Claus Bury ist Nachkomme einer alteingesessenen Hanauer Goldschmied-Dynastie. Der „Ur-Vater“ der Familie, der Hugenotte Jean Jacques Bury, kam Mitte des 18. Jahrhunderts gemeinsam mit anderen Kunsthandwerkern von Straßburg nach Hanau. 1772 wird er der zweite Lehrer an der neuen Zeichenakademie. Sein ältester Sohn Friedrich, ein Zeitgenosse Goethes, war ein bekannter Maler. In siebter Generation sind noch heute Angehörige der Familie Bury im Schmuckgewerbe tätig.

GRAF DER ZUKUNFT

Ein Denkmal für Philipp Ludwig II.

1897 wurde Graf Philipp Ludwig II. ein Denkmal auf dem Platz errichtet, das seinen Mut, seine Menschenfreundlichkeit und seine Zukunftsvision ehren soll. Die Bronzebüste gestaltete der Bildhauer Max Wiese, der seit 1884 an der Zeichenakademie in Hanau unterrichtete und deren Direktor war.

Das Denkmal wurde bei den Angriffen auf Hanau 1945 zerstört, die Bronzebüste und Inschrifttafel konnten jedoch aus den Trümmern geborgen und wieder aufgestellt werden. 1988 wurde das Denkmal schließlich in seine historische Form zurückgeführt.

ROTKÄPPCHEN UND DER WOLF

Hanauer Märchenpfad an der Wallonisch-Niederländischen Kirche

Seit 2016 sind Rotkäppchen und der Wolf am Platz an der Wallonisch-Niederländischen Kirche zuhause. Die Figuren aus einem der meist erzählten Grimm-Märchen sind Teil des Hanauer Märchenpfads, der sich mit insgesamt elf Skulpturen durch die ganze Innenstadt zieht. Die Rotkäppchen-Statue wurde vom Bildhauer Gerold Jäggle aus dem schwäbischen Ertingen angefertigt. Die Stadt Hanau hatte 2015 einen nationalen Wettbewerb zur Gestaltung der Skulpturen für den Märchenpfad ausgerufen. 73 Künstler und Künstlerinnen aus dem gesamten Bundesgebiet reichten über 170 Entwürfe ein. Die Patenschaft der Rotkäppchen-Skulptur haben die Hanauer Eheleute Hiltrud und Lutz Wilfert übernommen.
Wer genau hinsieht, kann auf dem neu gestalteten Platz nun auch die Spuren des Wolfes entdecken, die dieser in den Steinplatten hinterlassen hat.

BOGEN ZUR VERGANGENHEIT

Erinnerungstafeln am Westcarré

Den Torbogen, der von der Französischen Allee aus in den Innenhof des Westcarrés führt, zieren drei historische Steintafeln. Der Bildhauer Dan Hauenstein hatte diese 1950 im Rahmen des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg erstellt. Bis zum Abriss der Nachkriegsbebauung 2014 waren die Tafeln an einem Erker an der Französischen Allee angebracht. Auf den Tafeln ist das „Bernburgische Palais“ des Kasseler Hofbaudirektors Julius Eugen Ruhl (entworfen 1827, zerstört 1945) zu sehen sowie die Geschichte des Westcarrés. Die Aufarbeitung der historischen Platten übernahm der Hanauer Bildhauer und Restaurator Jens Engelhardt. Im Mai 2017 erhielten sie ihren neuen Platz am Torbogen zum Westcarré.